Resonanz

Preis der Internationalen Filmkritik Biennale Venedig1984
Adolf Grimme Preis in Gold1985
Bayerischer Filmpreis | Darstellerin Marita Breuer1985
Die Goldene Kamera1985
Outstanding Film of the Year, London1985
Preis der deutschen Kritiker1985
British academy award for the best TV-Programme, London1986
Bayerischer Rundfunk„Ein vollkommener Film und ein Glücksfall“
Die Zeit„HEIMAT übersetzt die große deutsche Geschichte in eine Dimension, in der sie der Größe entkleidet wird, nämlich die der kleinen Leute, die ihr Leben in Würde auch ohne Größe führen. Reitz lenkt seinen Film durch den Wärmestrom der Geschichte: ein seltener Glücksfall!“
Frankfurter Allgemeine Zeitung„Ein deutsches Meisterwerk“
Le FigaroWenn man „Heimat“ sieht, geht es einem wie bei diesen dicken Schwarten. wo man alles um sich herum vergißt und von der Lektüre so gefesselt wird, daß man seine eigene Existenz ablegt, um in die Haut der Romanfigur zu schlüpfen.
Süddeutsche Zeitung
„HEIMAT dürfte für den Neuen Deutschen Film das werden, was DIE BLECHTROMMEL für die deutsche Nachkriegsliteratur geworden ist.“
The Economist„Der wichtigste Film, der seit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland entstanden ist!“
The Guardian„HEIMAT ist nicht nur das Kronjuwel des Neuen Deutschen Films, sondern markiert darüber hinaus einen Wendepunkt im europäischen Film!“
Volker Schlöndorff„16 Stunden sind keine Minute zuviel!“

“HEIMAT” ist ein Phänomen

“HEIMAT” ist ein Phänomen (…)

Gemeinsam mit Ingmar Bergmans “Fanny und Alexander” und vielleicht Fassbinders “Berlin Alexanderplatz” beweist “HEIMAT”, dass das Fernsehen keineswegs ein für den Filmemacher minderwertiges und restriktives Operationsfeld ist, sondern dass es ihn vielmehr von der beengten Form des Kinofilms befreien kann”

THE TIMES, 4.Februar 1985

„Cinéma de la Nature“

(…) Eine der Hauptqualitäten von HEIMAT, ja vielleicht die bedeutungsvollste, liegt in der meisterhaften Handhabung des szenischen Aufbaus.

Edgar Reitz weiß immer, wo er seine Kamera postieren soll, wie er etwas zu schauen anbietet. Vor allem hat diese wie selbstverständlich scheinende Regie nie banale Züge. Sie wiederholt sich nie, sie erneuert sich ständig. Dieser Filmemacher, den man hier nicht kennt, obwohl er seit 1958 Filme produziert, ist zweifelsohne eine echte Größe des, wie wir sagen, „Cinéma de la Nature“ (…)

Richard Gay in LE DEVOIR (Montreal), 30.10.1984

„Heimat“ ist ein unerhört ergreifender und engagierter Film

(…) „Heimat“ ist ein unerhört ergreifender und engagierter Film in der Art,

wie er die Menschen schildert, aber es ist auch ein Filmwerk, dessen künstlerische Mittel überwältigen.

Uno Ohlsson in: NORRKÖPINGS TIDNINGER, 9.2.1985

A German Masterpiece

(…) The writer-director Edgar Reitz, a signatory exactly 23 years ago of that call to arms of the New German Cinema, the Oberhausen Manifesto, orchestrates this story with measured surety over 15 hours and 40 minutes.

His first skill, during the five years it took to establish HEIMAT, was to establish, with precise detail, the reality of the fictional Schabbach, an ordinary village, whose history, as would seem at the outset, need not detain us, and then to reel us inexorably into the lives of its inhabitants.His regard is straight and clear; and he may be compared in this respect to those great humanist film-makers Ermanno Olmi and Satyajit Ray.

(…) He regards all his characters – and his cast, led by Marita Breuer, is a vibrant, exemplary troupe, part amateur, each one of whom impresses, incidentally, by his physical presence – with mature disinterest, but also with gaiety and humour (…) What is unquestionable; (…) is that overall Reitz reveals the skills of a classic novelist. He has a just sense of proportion and a matching breadth of humane vision.

John Pym in: FINANCIAL TIMES, Cinema, 15. Februar 1985

Alle Elemente dieses Films sind bemerkenswert.

(…) Wovon der Film handelt, geben die Worte von Reitz wieder, das, was sein Film erreicht: er handelt vom “Fortgehen und von der Rückkehr;

von dem Respekt, den man vor seiner Arbeit hat und vom Leben auf Kredit; von Müttern und Söhnen; von Vätern und wie das frühe Morgenlicht in ein Zimmer fällt; von Sommerkleidern und Uniformen…; vom Abschiednehmen und vom Schlüssel hinter dem Fensterladen; von Bordellen in Berlin und von der ersten Liebe; von Flugzeugen und Schokolade; von Bombenabwürfen und von der Entdeckung des Glaubens; von dem Laib Brot, der zum Schneiden gegen die Brust gedrückt wird; von Hammer und Amboß; von dem Aufziehen eines neuen Zeitalters und von Großmüttern“ (…)
Alle Elemente dieses Films sind bemerkenswert. Gernot Rolls Fotografie, diskret und doch lyrisch; Nikos Mamangakis` eindringliche und wirkungsvolle Musik (…); die tadellose Regie und das erstklassige Kostümbild (…)

Sheila Benson in CALENDAR/LOS ANGELES TIME, 31.3.1985

Auf der Suche nach seiner Herkunft

(…) Auf der Suche nach seiner Herkunft ist Edgar Reitz auf die von ganz Deutschland gekommen.

Die Geschichte des Dorfes Schabbach im Hunsrück ist die aller seiner Landsleute.

Eric Hoesli in L’HEBDO

Bild für Bild ist dieses Werk unermüdlich schön

(…) Nach einer Generation von Cineasten, gemartert vom Schuldgefühl, die die Fehler ihrer Väter wie einen Fluch getragen haben, jetzt endlich vom deutschen Standpunkt aus das alltägliche Leben im Rhythmus von Arbeit und Jahreszeiten erzählt.

Bild für Bild ist dieses Werk unermüdlich schön. Nach 15 Stunden 40 Minuten Vorstellung vermissen wir es schmerzlich. Wir möchten Einzelheiten nachlesen, dort wohnen, dort beheimatet sein.
„Heimat“ wurde mit Liebe gestaltet und gespielt von einem sehr großen Ensemble: 28 Hauptrollen und 140 kleine (…) Wie selbstverständlich übertragen sie ihre Leidenschaft auf die Zuschauer.
Diese verwirrende deutsche Chronik ist von ungeheurer Reichweite (…) Befreit von der religiösen Botschaft von Schuld und Sühne, befreit von dieser Gesinnung, die ganz Deutschland an Nürnberg bindet, ist es von jetzt an möglich, dieses Land zu sehen, wie es wirklich ist.

Lorette Coen in L’HEBDO

Das erste Verdienst von HEIMAT

(…) Das erste Verdienst von HEIMAT besteht darin, dass es uns die Geschichte durch Ereignisse und Gefühle erleben lässt, durch ein Verfahren, in dem das Persönliche sich ständig auf das Gesamt bezieht, und umgekehrt (…)


Es ist ein Film, der völlig aus der Realität gegriffen ist, aus den alltäglichen Leiden, ein Film, der uns die Geschichte erklärt, indem er hinter die Haustür schaut und die äußerst wichtigen Unwichtigkeiten des Alltags beobachtet, aneinandergereiht erscheinen sie wie das Leben selbst, und das ist es auch (…)
Welch ein schöner Film: Welche Ausdruckskraft, welche ethische Konsequenz, welche Erzählkunst, welche Filmkunst, welch großartige Schauspieler! (…)
In seiner Größe ist der Film von Reitz gleichzeitig höchste Fiktion und äußerste Wahrheit und wie alle wirklich schönen und magischen Dige bleibt er beides, dank seiner Allgegenwart.

Maurizio Porro in CORRIERE DE LA SERA, 31. 8. und 3.9.1984

Das ist der Film, von dem wir schon lange geträumt haben.

VOIR

Das ist der Film, von dem wir schon lange geträumt haben. Stellen Sie sich ein romanhaftes Gemälde mit etwa zehn Personen vor, deren Wege sich fast ein halbes Jahrtausend lang kreuzen.

Nein, dieser Film kommt nicht aus Hollywood. Nein, keine Beziehung zu dem wichtigtuerischen Quatsch von Dallas oder Dynasty!
HEIMAT, inszeniert von dem Deutschen Edgar Reitz, schildert das Leben in einem einfachen Dorf im Hunsrück, namens Schabbach. Doch dieses Dorf wird Schritt für Schritt zum Spiegelbild des ganzen Landes; alle politischen und sozialen Ereignisse Deutschlands spiegeln sich dort vor unseren Augen wider; der Aufstieg des Nationalsozialismus, die Kriegsjahre, der wirtschaftliche Wiederaufschwung der 50er Jahre, die Krise der „Sechziger“ (…) Das kleine Wunder, das Edgar Reitz gelungen ist (…): Personen voller Farbigkeit darzustellen, die uns stundenlang immer wieder bezaubern.“

Pierre Murat in VOIR, Dez. 1984

Die Antwort ist kein Geheimnis.

Würde ein Lebewesen von einem fernen Planeten uns die Frage stellen, welche Filme man sehen müsste, um Auskunft zu bekommen über Deutschland im 20. Jahrhundert, so würde der Heimat-Zyklus von Edgar Reitz wohl zu den wichtigsten Empfehlungen gehören.

Wie kommt es, daß vielen Menschen die Simons, die Wiegands, Maria und das Herrmännche in nur 16 Stunden so vertraut wurden, daß sie sich ins Auto setzen, in den Hunsrück fahren und Schabbach und seine Bürger kennenlernen wollen? (…) Die Antwort ist kein Geheimnis. Den Zuschauern ist von Mal zu Mal bewußter geworden: Schabbach ist überall, so wie Heimat überall ist. Selten ist den Bürgern in dieser Republik der Begriff Heimat so leicht über die Lippen gekommen wie in diesen Tagen. Sie haben plötzlich die Scheu vor dem Gebrauch des Wortes abgelegt, das Begriffe-Vergewaltiger im Dritten Reich für ihre rassistische Ideologie missbrauchten und damit auch für die demokratische Nachrkriegszeit nahezu unbrauchbar gemacht hatten.

Peter Kruse in: HAMBURGER ABENDBLATT, 25.10.1984

Dies ist kein Film der Realitäten abbildet.

Dies ist kein Film der Realitäten abbildet. Dies ist das Produkt einer aus den Realitäten aufblühenden Phantasie.

Da aber zeigt es sich, wie diese Phantasie ihre konkreten Ansatzpunkte realer darstellt, als es jedes direkte Abbild zu tun vermöchte. So ist denn HEIMAT, als Geschichte eines Hunsrückdorfes konzipiert, auf die 60 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges beschränkt, dennoch ein Epos von homerischer Zeitlosigkeit und überregionaler Gültigkeit.

Valentin Polcuch in: DIE WELT, 26.10.1984

Eimerweise Druckerschwärze

(…) Eimerweise Druckerschwärze wurde schon über Edgar Reitz’ 16-stündigem Epos „HEIMAT“ vergossen und doch haben keine Worte den Geist und die Stärken dieses Films so gut einfangen können wie der einfache Katalog an Ingredienzen, der in seiner Einführungsbroschüre aufgelistet wurde.

„Heimat“, so teilt uns der Absatz mit, „handelt vom Kommen und Gehen…von Müttern und Söhnen…von den drei Eiern auf der Fensterbank…von Küchen und Speichern…von Flugzeugen und Schokolade…von dem Laib Brot, der zum Schneiden an die Brust gepresst wird…von Kissen und Kaugummi…von Luftangriffen, Frisuren und Bankkrediten…“.
Die Liste könnte verlängert werden und die ganze Seite füllen: der Film ist bis zum Platzen voll mit überzeugender Dokumentation des täglichen Lebens in Reitz‘ fiktivem Dorf Schabbach im Hunsrück im Südwesten Deutschlands in den Jahren 1919 bis 1982

Geoff Brown in THE TIMES, 15. Februar 1985

Ein Hauch Glückseligkeit

(…) Über “Heimat” wird man Bücher schreiben und der Rahmen dieser kurzen Kritik erlaubt uns kaum, auf alle Details der sechzehnstündigen Chronik einzugehen

(…) Es ist bisher fast charakteristisch für die Autoren im Neuen Deutschen Film, daß es ihnen ungemein schwerfiel, Geschichten zu erzählen und Menschen in Szene zu setzen, die nichts als ihre Gefühlskälte auf der Leinwand ausbreiteten – Romantik und Epik waren verpönt (…) „Heimat“ feiert die Rückkehr zur (fast) klassischen Narration, zur ausgefeilten Dramatik und zum realistischen Spiel der Schauspieler, „Heimat“ ist von der Bildgestaltung und dem cleveren Wechsel von Farbe und Schwarzweiß zum plastischen Juwel geworden, dessen Konzeption einmalig ist.
Die Arbeit des Ausstatters, der Hunsrückdörfer von heute ins „historische“ Schabbach verwandeln musste, die hervorragende Arbeit an der Kamera von Gernot Roll, die kraftvolle Musik von Nikos Mamangakis als Kontrapunkt zu den oft intimistischen Szenenfolgen und das Zusammenspiel von professionellen Darstellern und Laienschauspielern geben dem Film einen menschlichen Tiefgang, der fast unbeschreiblich ist.

Ein Hauch Glückseligkeit“, in: TAGEBLATT, Luxemburg, 25.1.85

Ein Kinoereignis, das alle Grenzen sprengt

(…) Edgar Reitz hat es gewagt, was so viele seiner Kollegen auch wollten und sich nicht trauten, nämlich in die „Mitte der Welt“ zu gehen (so heißt übrigens ein Kapitel seines Epos).

Und damit ist ihm gelungen, was nach 20 Jahren Neuer deutscher Film noch ausstand: dessen Summe, dessen Requiem. HEIMAT dürfte für den Neuen deutschen Film das werden, was „Die Blechtrommel“ für die deutsche Nachkriegsliteratur geworden ist

(…) Im Zentrum stehen nicht die historischen Daten, sondern die Erzählzeit (ein hineinsaugender Rhythmus, der die reale Zeit fast aufhebt) und die Erzählsprache (ein bodenständiger Dialekt, der seine eigene Intelligenz entwickelt und resistent macht gegen alle Ideologien). Es ist diese Sprache, die den Film über diese unglaublich lange Zeit in einer geradezu schlafwandlerischen Balance hält, ihn zum Ereignis macht. Pathos und Humor, Liebe und Trauer, Schlitzohrigkeit und Opportunismus, kurz die unterschiedlichsten Stimmungen werden durch sie amalgamiert, die Differenzen auf kleinstem Raum zusammengepreßt. Der Zuschauer weiß am Ende nicht mehr, warum er dauernd feuchte Augen hat – ob vor Rührung, vor Lachen oder vor Trauer.
(…) Von den vielen großartigen Einzelleistungen – die Kürze bedingt Ungerechtigkeit – sollen hier wenigstens einige herausgegriffen sein: Marita Breuer müßte bei ihrem Gefühl für Kinopräsenz die Schauspielerentdeckung des Jahres werden; Heidi Handorf hat mit präzis pfiffigem Schnitt das immense Material hervorragend organisiert, und Gernot Roll an der Kamera hat ein Gefühl für die widersprüchlichsten Stimmungen, das ihn wohl schlagartig in der Branche bekannt machen wird.
Peter Buchka in SÜDDEUTSCHE ZEITUNG Nr. 151, 3.7.1984

Ein Stückchen deutscher Fernsehgeschichte

Seit Mitte September sitzen die Hunsrückbauern sonntags und mittwochs mit besonderer Neugier und Skepsis vor den Fernsehgeräten: Was das Ding ihnen da ins Haus bringt, ist keine fremde Welt, sondern die eigene. Einer von ihnen, ein lange verlorener Sohn, endlich auf Zeit heimgekehrt, hat die Serie „Heimat“ gemacht, mit ihnen und über sie.

Durch ihn ist das fiktive Hunsrückdörfchen Schabbach zum Schauplatz einer exemplarischen deutschen Jahrhundertgeschichte geworden, und die Wirkung, die „Heimat“ seit dem ersten Sendetag hat, besagt: Hunsrück ist überall. (…)

Kein anderer Titel könnte so signalhaft und entschieden Programm sein wie „Heimat“. Die Wiederkehr eines lange verachteten Begriffs und ein neues Gefühl, das das Land in diesen Jahren bewegt – Rückbesinnung auf Heimat, Rückgewinnung von Heimat -, haben diese Film-Unternehmung hervorgebracht und scheinen in ihr eine beispielhafte Erfüllung zu finden.

Die „Heimat“-Serie von Edgar Reitz schreibt Geschichte, wie sich die neue „Heimatkunde“ das wünscht: nicht von oben her, aus der Sicht amtlicher Akten, sondern „von unten“, als Kulturgeschichte des Alltags der kleinen Leute. Der Reitz-Film betreibt Spurensicherung und Lokalhistorie, sein Material sind Privatbriefe, Familien-Photoalben, mündliche Erzählungen von Überlebenden. Sein Stoff ist die kollektive Erinnerung einer Region. (…)

Schließlich: Die „Heimat“-Serie von Edgar Reitz nährt die vage Sehnsucht des Stadtmenschen nach dem Ländlich-Dörflichen, dieses paradoxe Heimweh nach etwas, das man nie besessen hat. Zumal die ersten Folgen der Serie, die mit epischer Ruhe und bedachter Naivität die gute alte Vorkriegszeit ausmalen, zeigen das Dorf als intakte, in sichruhende, in sich aufgehobene Welt: Unmittelbarkeit, Offenheit, Nestwärme, nachbarliche Nähe. (…)

Was der „Heimat“-Unternehmung von Edgar Reitz ihre ganz eigene Kraft gibt, ist die persönliche Nähe: die Leidenschaft und Unbedingtheit, mit der Reitz sich in das eigene Eckchen Heimat verbissen hat. Gerade weil er nur auf seinen Hunsrück geschaut und keinen Moment auf Wirkung in der größeren Welt geschielt hat, ist sein „Schabbach“ beispielhaft geraten, wirklich „Mitte der Welt“ geworden, und die mächtige Zustimmung, die sein Werk nun von Folge zu Folge findet, macht es zu einem Stückchen deutscher Fernsehgeschichte.

Titelgeschichte in: DER SPIEGEL Nr. 40, 1.10. 1984

Es ist eine eigene Welt, diese „Heimat“.

Wenn es um „Heimat“ geht, muss ich persönlich werden. Oft werde ich als Kritiker gefragt, welches für mich der beste Film aller Zeiten sei. Ohne zu zögern, antworte ich: „Das ist kein Film, das ist eine TV-Serie.“

Und nein, ich denke dabei nicht an eine dieser modernen Produktionen wie „Breaking Bad“ oder „Borgen“. Ich meine die 30 Jahre alte „Heimat“ von Edgar Reitz. Heute wird ja gerne behauptet, dass Serien innovativer sein können als Kinofilme. Stimmt. Aber bereits im Jahr 1984 forderte Reitz die Gesetzmäßigkeiten des Fernsehens mit den Mitteln des Kinos heraus. Oder umgekehrt. Seine „Heimat“ ist auf jeden Fall ein gewaltiges Epos, 927 Minuten lang (…)
Es ist eine eigene Welt, diese „Heimat“. Es gibt unzählige Publikationen, und es gibt Websites, die sich zum Beispiel mit Querverweisen zwischen einzelnen Folgen beschäftigen. Es gibt Interpretationen und Dissertationen. Es gibt einfache Fans und Freaks. Aber im Grunde genommen ist alles ganz einfach: Es geht um die Sehnsucht (…)
Um persönlich zu bleiben: Wenn mich die Sehnsucht packt, weiss ich, dass ich eine Dvd einlegen kann. Um „Heimat“ zu schauen, den besten Film der Welt.

Matthias Lerf in SONNTAGSZEITUNG ZÜRICH, 13.4.2014

Europa hat „Dallas“ geschlagen.

Europa hat „Dallas“ geschlagen. Hat Amerika auf seinem ureigensten Gebiet besiegt.

Der Tiefblick, die Dichte, die Spannweite, historisch, soziologisch, romanhaft, politisch und philosophisch dieser ungeheuren Fortsetzungserzählung, deren jede Minute ausgesucht köstliche Funken voll Geist enthält und an das Niveau von Fellini (‚Armacord‘) von Zola, von Heidegger heranreicht! Das ist die anstrengendste und aufwühlendste Reise, die man in diesen Tagen unternehmen kann: ein Wochenende bei Chéreau zu verbringen und 63 Jahre eines Dorfes unseres Europa zu erleben, das schon so alt ist und dennoch erst entsteht.

Laurent Dispot in PARISCOPE, 28.11. 1984

Filmemacher-Kollegen schreiben

HEIMAT läuft im Sommer 1984 im Wettbewerbsprogramm (außer Konkurrenz) bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig und erhält auf dem Festival den FIPRESCI Preis der Internationalen Filmkritik

Filmemacher-Kollegen schreiben an den Direktor der Internationalen Filmfestspiele in Venedig 1984:
Heimat, der Geburtsort, ist für jeden Menschen die Mitte der Welt. An diese einfache Wahrheit erinnert uns Edgar Reitz in kosmopolitischer Zeit. 16 Stunden sind um keine Kimute zu viel für dieses europäische Requiem der kleinen Leute, das Erfahrungen unseres ganzen Jahrhunderts umfasst, von dem wir, wie jedermann weiß, schon in 16 Jahren Abschied nehmen.
Gez. Werner Herzog, Alexander Kluge, Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta, Wim Wenders

Filmgeschichte geschrieben

(…) dieses Meisterwerk ist nicht nur eine Familiengeschichte, es ist auch ein Gegenwarts-, ein historisches Epos, das sich vom Ersten Weltkrieg bis in unsere Tage erstreckt (…)


Ja. „Heimat“ ist eigentlich noch mehr als das, nämlich ein Versuch, sich zu erinnern, an Schicksalen von Menschen teilzunehmen, unbeeinflußt durch den Richterspruch der Geschichte (…)
Es gibt keinen Zweifel, mit „Heimat“ hat Edgar Reitz Filmgeschichte geschrieben.

Maaret Koskinen in: DAGENS NYHETER, 10.8.1985

HEIMAT hinterlässt den Eindruck eines Volkes

HEIMAT (…) hinterlässt den Eindruck eines Volkes, das bewusst mit dem Schicksal seines Landes verwickelt ist, das bis zu einem gewissen Grad dieses Schicksal sogar selbst geschmiedet hat, egal wo dieses Volk lebt: Im Zentrum oder in der Peripherie, in der Stadt oder auf dem Land.

Reitz hätte für seine Geschichte ruhig auch Berlin aussuchen können, ohne wesentliche Veränderungen durchführen zu müssen (…)
Man hätte ihm einen Ehrenplatz geben sollen, weil HEIMAT mehr als das „Ereignis der Biennale“ werden könnte: Sogar das Ereignis dieses ersten Jahrhunderts des Films, der erste echte Filmroman, das deutsche „Krieg und Frieden“, geschrieben mit der Filmkamera anstelle der Feder (…)
Calliso Cosulich in PAESE SERA, 4.9.1984

HEIMAT ist das Summum opus des neuen deutschen Films.

Die Zuschauer, die HEIMAT, in zwei lange Kinonächte geteilt, in diesem Sommer beim Münchner Filmfest sahen, jubelten. Als Edgar Reitz´ Riesenwerk dann beim Festival in Venedig aufgeführt wurde, war es quasi amtlich: HEIMAT ist das Summum opus des neuen deutschen Films.

(…) Zeit, die Reitz sich nimmt und die zu nehmen er auch dem Zuschauer abverlangt, bestimmt wesentlich die Bilder; nie werden sie in Zwecke eingebunden, müssen schnell etwas beweisen. Sie sind einfach da. (…) Bemerkenswert ist, wie sehr sich Reitz, auch auf die Gefahr hin, mißverstanden zu werden, allzu deutlicher Kommentierung enthält. Schabbach, so fühlt der Zuschauer, ist die Mitter der Welt; aber weil es so ist, weil Privatheit das Glück der Menschen bestimmt, ist diese Welt auch zerstörbar.“
Elisabeth Bauschmid in: SUEDDEUTSCHE ZEITUNG, 3.10.1984

HEIMAT ist der wichtigste Film

(…) HEIMAT ist der wichtigste Film, der in Westdeutschland seit dem 2.Weltkrieg gedreht wurde.

Von den vielen Versuchen, eine Kultur zu verstehen, die organisierte Brutalität zusammen mit Honigkuchen-Sentimentalität nährte, zwei Kriege und Generationen von jungen Menschen, die den Glauben und dass Interesse an Allem, an das ihre Eltern geglaubt haben, verloren haben, ist dieser Film der Erste, der dem Erfolg nahe kommt.

THE ECONOMIST, 9.Februar 1985

HEIMAT ist ein Film von Edgar Reitz

Auf die Frage, was Heimat sei, antworten die einen: das Paradox der Hoffnungsphilosophie von Ernst Bloch, und die anderen: ein Film mit Zarah Leander.

Neuerdings wird man, nach den höchst erfolgreichen Aufführungen in München und Venedig, sagen: HEIMAT ist ein Film von Edgar Reitz, der das ziemlich heikle Kunststück fertigbringt, Ernst Bloch und Zarah Leander in eins zu denken, als funkelnde Momente deutscher Geschichte. Von dem einen fällt ein Licht aufs andere. Dieser Film sieht beide Quellen und will doch keine verdunkeln. (…) Wenn Reitz nun die Stirn und das Denkvermögen hat, seine Dorf- und Familienchronik HEIMAT zu nennen, dann bricht er mit dem Tabu auch den Bann ohne Gegenzauber. Er zeigt keine Provinz-Idylle, er leuchtet nur, mit jeder Sequenz schooner und genauer, in die Brutnester, aus denen da deutsche Geschichte kroch. Sein Film ist ein Fresko komischer Verzweiflung, ein Trauerpanorama ohne Wehleid. Denn die bäuerliche Kultur im Hunsrück ist auch unwiederbringlich dahin. Keine Feier gilt ihr, aber doch ein Abgesang. Ein Requiem also, und kunstvolle Totenklage. (…) Die Gegenwart ist vielstimmig, und HEIMAT gelingt es, fast jeder Nebenstimme eine besondere Klangfarbe zu lassen. Das ist bei einer Produktion, die 28 Hauptdarsteller, 140 Sprechrollen ind 5000 Laiendarsteller vereinigen muss, ohne zum Monumentalfilm zu greaten, eine überragende Leistung in der Organisation von Ästhetik. Erklärbar nur im Zusammenhang von Reitzens genauestem Sinn und Respekt für das Detail, für die geringste Abweichung, die er in seiner Komposition anhebt, ohne sie als groß hervorzuheben. (…) Dass alle Schauspieler so gut sind, macht den Film gut, Stars gibt es nicht. Licht fällt auf jeden. Doch sympatisiert die Regie mit keener einzelnen Figur, weil sie stets das Gleichgewicht und die Abhängigkeit des politischen Handelns ihrer Figuren im Auge hat. Die Dialoge in diesem HEIMAT-Epos sind lakonisch und genau. (…) HEIMAT übersetzt die große deutsche Geschichte in eine Dimension, in der sie der Größe entkleidet wird, nämlich die der kleinen Leute, die ihr Leben in Würde auch ohne Größe führen. Man muss diese Erinnerungen hören und sehen, dann kann man Davon nur schwer Abscheid nehmen.

Karsten Witte in: ZEIT, 14.09.1984

HEIMAT ist ein Film, der sich jeder Kategorisierung entzieht

Ein kleines Dorf im Hunsrück bewegt zur Zeit die Fernsehnationen: das Dörfchen Schabbach, das es in Wirklichkeit nicht gibt.

HEIMAT, das fast 16-stündige Filmspektakel von Regisseur Edgar Reitz und Mitautor Peter Steinbach ist so ganz das Gegenteil dessen, was nach gängiger Vorstellung Einschaltzahlen verheißt. Und dennoch kleben sonntags und mittwochs an die zehn Millionen Zuschauer an der Mattscheibe und haben Teil am Leben der kleinen Leute von Schabbach. (…) Reitz ist es gelungen, in stillen und nicht einen Moment langweiligen Bildern Heimat einzufangen, fern von Blut und Boden, nicht Zucht und Ordnung, sondern Ruhe und Geborgenheit. (…) HEIMAT ist ein Film, der sich jeder Kategorisierung entzieht und doch selbst in er fernsehgerecht zerstückelten Fassung seine Faszination nicht verliert.
Peter Müller in: MORGENPOST, 7.10.1984

HEIMAT ist eine lange Geschichte

(…) HEIMAT ist eine lange Geschichte, eine Geschichte für die Familie, ein Abenteuer, das aus winzigen und irdischen Erinnerungen besteht (…)“

Piera Detassis in VENEZIA Z, 5.9.1984

HEIMAT ist eine seltene Episode

(…) HEIMAT ist eine seltene Episode, rührende Schönheit, ein einfacher Baum mit bedeutungsvollen Blättern,

die Ablehnung jeglicher filmischer Entfremdung verwirklicht sich ganz eindeutig in der Distanzierung von den festgefahrenen Formen der Vergangenheit. Ein körperliches und poetisches Kino (…)
Claudio Trionfera in IL TEMPO, 5.9.1984 LA REPUBLICA

Heimat wurde im Bilde greifbar

Durch die Heimat-Chronik aus dem Hunsrück hat das Wort Heimat nun auch im Fernsehen wieder etwas von der schlichten Göße bekommen, die seit jeher diesem Wort anhaftete.

Heimat wurde im Bilde greifbar, sie nahm niemand auf die Schippe, keine Satire wurde um sie herum gesponnen, Heimat war auf einmal wieder ansehnlich, das heißt: auf dem Fernsehschirm ist sie mir zunehmender Geschwindigkeit in die Mitte des Programms greaten. Man spricht über sie, man sucht die eigene Identität in den Figuren, die in HEIMAT mitspielen, man vergleicht, setzt sie in Bezug zu den Zeitereignissen, die einer selbst noch kennt. (…) Was zählt, sind die Schicksale und deren Einordnung in das, was geschieht. Es sind empfindsame Fernsehabende, die zur Zeit sonntags und mittwochs stattfinden.

Wolfgang Paul in: TAGESSPIEGEL, 2.10.1984

HOME TRUTHS FROM ABROAD

If you have a minute to spare, I would like to tell you about a remarkable new film.

Better still, if you have 15 hours 36 minutes to spare, I would urge you to see it.
Having this week spent a mere three and a half hours in the company of the characters so indelibly etched by director Edgar Reitz (…), I would hazard that HEIMAT (…) is the biggest and the most ambitious film project ever undertaken with major commercial backing.
It is, without any sense of the adhesive pejorative, “made for television” and will be shown on that medium later in the year. But it hasn’t a trace of the cloth-eared, muffled quality that so often mars the hybrid television film. It is sharp, crystalline and concise. (…)
Reitz directs with a velvet glove, slipping effortlessly (…) from colour to black-and-white, coaxing from his enormous cast performances that spring naturally to life.

David Castell in: THE SUNDAY TELEGRAPH, 10. Februar 1985

Homeland

KENSINGTON AND CHELSEA TIMES

“With a film, sponsored by West German TV, and having a playing time of some fifteen hours (no – this is no misprint) you would be excused if you thought it the German reply to ‘Dallas’ or ‘Dynasty’.

But not so: HEIMAT (Homeland), now on an exclusive West End run, happens to be something quite memorable.
Not only the longest film ever made it is also one of the most remarkable. Set in the fictitious village of Schabbach, in Germany’s heartland, we follow the lives of its inhabitants from the country’s defeat in 1918 right up to the present decade. The story of Schabbach is, in its way, the story of Germany’s history this present century, and in its humanity, its fair mindedness and its percipience the film is utterly engrossing.
If its enormous length seems sprawling and shapeless it is the sprawling shapelessness of life itself which is reflected.”

KENSINGTON AND CHELSEA TIMES, 15.Februar 1985

It’s an experience.

THE CINEMA

Edgar Reitz’ film is an astonishing feat…

Gernot Roll’s photography is glorious; shafts of light rippling over cornfields or beaming through forest leaves. Whatever way you look at HEIMAT, it’s an experience.”

THE CINEMA, London Weekly Diary, 15. Februar 1985

Le film de l’Allemagne.

HEIMAT, oevre novatrice, lucide, inspirée, sur le pays natal, la patrie historique et affective, est le grand film allemand de siècle.

Le film de l’Allemagne.

Jacques Siclier, LE MONDE, 22.11.1984

Meisterwerk, der größten Auszeichnungen wert

Edgar Reitz´ und Peter Steinbachs HEIMAT-Filmepos wurde von den Kino-Journalisten noch höher in den Himmel gehoben als die Fassbinder-Serie, nachdem sie es in München oder Venedig auf der Leinwand gesehen hatten.

(…) Aber jetzt greift die Geschichte vom kleinen Dorfleben in das die große Welt berlins eindringt (und der Nationalsozialismus), jetzt sind  wir mitten in diesem Kosmos, kennen die Menschen, wie sie ihren Alltag zu meistern suchen, wie sie mit ihren Hoffnungen und Enttäuschungen fertig warden, wie sie älter warden, lieben, gegeneinander und miteinander sind. Und die Landschaft des Hunsrücks ist Teil von ihnen, abweisend und romantisch, finster und wie eine Fata Morgana. Gewiß, das ist nun abzusehen, auch auf dem Bildschirm ist HEIMAT ein außergewöhnliches Filmepos, außergewöhnlich eben auch durch die Gestaltung der Bilder. Wie Gernot Roll die Bewegungen der Landschaft einfängt, wie er in die Gesichter der Schauspieler eindringt, den Lebensraum der Schabbacher erfahrbar macht, wie er die Erzählebenen wechselt (Nähe und Fremdheit stehen nebeneinander), den Gang der Zeit verdeutlicht, das hat man so im Fernsehen noch nicht gesehen, das ist ein Meisterwerk, der größten Auszeichnungen wert.
T.T. in: FRANKFURTER RUNDSCHAU, 1.10.1984

Ne partez pas en week-end!

Télérama

Ne partez pas en week-end!

Oubliez votre poule au pot ou votre jogging dominicaux! Ne cherchez pas à décoder le décodeur de Canal Plus! Tout cela peut attendre…Allez voir Heimat qui vous réconciliara avec le cinema si, d’aventure, vous aviez eu avec lui quelque querelle d’amoureux.

Télérama

New German Cinema

I wrote in my first report from Venice that no matter how much critics grumbled about a poor festival, someone was bound to find an unexpected masterwork hidden in the programme.

This is exactly what has happened this year after many disappointments. Except that the masterwork concerned – Edgar Reitz’s HEIMAT (Homeland) – has been discovered by almost everybody (…) I have still not seen all of this extraordinary epic about the fictional village of Schabbach in Hunsrück between 1919 and 1982. But I have certainly seen enough to know that Homeland is not only one of the finest jewels in the crown of the New German Cinema but also something of a watershed in European cinema.

Derek Malcolm in: THE GUARDIAN, 6.September 1984

Niemand sucht nach der verlorenen Heimat

…)„Heimat“ erinnert an nichts, das man schon kennt. Das macht den Film einmalig, unverwechselbar.


(…)„Heimat“, der Film von Edgar Reitz, war unstrittig der Höhepunkt des Filmfestes. „Heimat“ war ein Filmfest in sich selbst. Es dauerte, in zwei Blöcken präsentiert, 16 Stunden, erzählte das Leben einer Großfamilie im Hunsrück, von 1918 bis 1980, mit 28 Hauptdarstellern, 5 000 Laiendarstellern in 28 km montiertem Zelluloid. Das klingt wie eine Materialschlacht im Hollywood-Epos, ist aber in Wahrheit die deutsche Herausforderung amerikanischer Serien wie „Dallas“ und „Holocaust“ in einem, was der Wahrheit stärker entspricht als eine Aufteilung in Politik- und Familienserien. In seinem Buch „Liebe zum Kino“ (soeben im „Verlag Köln 78“) erschienen, schreibt der Regisseur: „Es gibt in unserer deutschen Kultur kaum ein ambivalentes Gefühl, kaum eine schlimmere Mischung von Glück und Brutalität als die Erfahrung, die hinter dem Wort .Heimat’ steht.“

Dieser Film – als Serie von der ARD von September an ausgestrahlt – löst das Tabu, das auf dem Wort und seinen politischen Vibrationen lag. Seit der Philosophie Ernst Blochs hat kein Medium so eindringlich Heimat ohne Chauvinismus reklamiert wie dieser Film, der dem Glück und der Brutalität, den guten wie den schlimmen Wünschen Raum gibt, ohne ihnen die Freiheit der Beliebigkeit zu geben. Heimat ist immer ein Schauplatz der Durchdringung mit Ambivalenten, die um keinen Preis zu unterdrücken sind. Es sei denn, den der realen Gewalt, des Faschismus. Das zeigte der Zarah-Leander-Film „Heimat“, der in diesem Film nicht bloß ironisch aufgegriffen wird.

Edgar Reitz, der selber aus dem Hunsrück stammt, sucht nicht die ihm entglittene Heimat. Er erfindet sich ein Dorf, das Schabbach heißt und dort die Welt bedeutet. Wie kommt Welt ins Abseits? Der Weltkrieg kommt und nimmt Soldaten. Der Krieg ist vorbei und bringt nur einen Soldaten zurück, den Heimkehrer. Der schläft vor Erschöpfung ein. Die Heimgebliebenen erzählen sich den Krieg. Paul, der Sohn des Schmiedes, sitzt in der Gemeinschaftsküche an den Holzpfeiler gelehnt. Das wird im Verlauf der Geschichte der mythische Ort, von dem aus die Heimkehrer wieder in die Fremde aufbrechen. Dort treffen sich später Großvater und Enkel wieder: der eine wanderte nach Amerika aus, der andere wird in die Metropolen auswandern, um Komponist zu werden. Der Platz am Pfeiler bietet eine kurze Bleibe.

Die Vernetzung des Dorfes mit Deutschland erfolgt durch die Elektrifizierung und den Bau einer Straße. Die verbindet Bunker mit Bunker, die den Westwall bilden. Allein der Transport der Waffen ruiniert die Straße, noch ehe der Krieg es schafft. Der Bau bringt Menschen aus Sachsen, aus Hamburg und München nach Schabbach. Das Dorf wird zur Drehscheibe für das, was unverrückbar schien, die Tradition. Die Dialekte und die Vorurteile vermischen sich. Das Dorf wird Schauplatz für alle, die große Politik aus zweiter Hand erfuhren.

Die Mitläufer, Befehlsempfänger, die aufgeblähten kleinen Nazis, die tüchtigen Baumeister der Restauration, aber auch die unauffälligen Widerständler, sie tauchen in „Heimat“ auf, ohne zur Karikatur zu verkommen. Das gelingt in großer Form dadurch, daß Reitz das Pathos, das die deutsche Geschichte ausschwitzt, mit Witz abkühlt. Wenn die verliebte Hure aus Berlin im Hunsrück sich entzückt: „Eduard, ick liebe sie, deine Heimat!“ dann folgt ein Schnitt nah auf den Jauchewagen. Die Heimat ist ländlich, der Witz ist urban. Das „falsche“ Bewußtsein wird hier nicht in den Strafraum der Vernunft gestellt, sondern mit kritischer Liebe sich selber ausgeliefert. Niemand sucht nach der verlorenen Heimat. Die Nostalgie erhält ihr Fett und keine freie Bahn. Im Lauf der Zeit wird mit dem Vieh die Tradition des Dorfes verkauft. Der Alltag wandelt auf den Speicher der Antiquitätenhändler. Was Heimat war, wird Allerweltsschauplatz. Da gibt es keine Klage der Romantik.

Reitz lenkt durch seinen Film den Wärmestrom der Geschichte. Das macht dieses Unternehmen zu einem seltenen Glücksfall.

Karsten Witte: „Niemand sucht nach der verlorenen Heimat“ in: DIE ZEIT Nr. 29, 13.7.1984

Schließlich hat „Krieg und Frieden“ 230 Kapitel

COVENT GARDEN COURIER

(…) Die Times hat “HEIMAT” berechtigterweise den (inoffiziellen) Titel des Besten Neuen Films jeglicher Herkunft des Jahres 1984 verliehen.

Wender und Herzog haben ein Signal von den Festspielen von Venedig geschickt und Kritiker davor gewarnt, müßig zu sein. Und nun drängle ich jeden (der die Zeit findet) sich „HEIMAT“ anzusehen, der in diesem Monat anläuft, und das trotz der (noch zu bestätigenden) Berichte, dass geplant ist, ihn als Fernsehserie im Herbst auf den Bildschirm zu bringen. Schließlich hat „Krieg und Frieden“ 230 Kapitel, und Sie würden doch nicht nur ein Kapitel pro Woche lesen wollen, oder doch?

Tom Pocock in COVENT GARDEN COURIER, Februar 1985

Stellen Sie sich ein “Novecento” im grünen Rheinland vor

(…) Stellen Sie sich ein “Novecento” im grünen Rheinland vor, wo die Geschichte, genau wie in dem kolossalen Film von Bertolucci, in den Geschichten lebt und unvermeidlich aber leise erscheint:

Wo sich alles verändert und im Grunde genommen gleich bleibt. Der Nationalsozialismus, die Tragödie der zwei Weltkriege, die amerikanische Welle, der Fortschritt des XX. Jahrhunderts, alles geht vorbei, es sind aber immer die „Taten“ der Dorfbewohner, die wichtig sind, ihre Lieben und beruflichen Erfolge, Begabungen und Verrücktheiten, Erfindungen und Demütigungen, ihre Flucht und ihre Wiederkehr (…)

Gabriele Porro in IL GIORNO, 3.9.1984

Von der Heimat und der Fremde

Das zweite Münchner Filmfest ist ein überraschend großes Fest fürs Kino geworden

(…) Der Höhepunkt und zugleich Ruhepunkt im regen Festivaltreiben war ein Film, der den so oft geschundenen Begriff „Heimat“ zum Titel gewählt hat. Sechzehn Stunden lang führt uns Edgar Reitz in „Heimat“ durch die letzten sechzig Jahre seines fiktiven Hunsrück-Dorfes Schabbach. Im Wandel der Generationen und Zeiten erleben wir Geburt, Tod, Liebe, Leid, Krieg und Frieden. Anders als die Heimatfilme der Nachkriegszeit zeigt Reitz tatsächlich, was uns der Begriff Heimat bedeuten kann: ein Ort, der dem Menschen seine Mitte geben kann, seine Festigkeit, seinen Glauben an sich und die Welt. Heimat ist aber auch der Ort, von dem einer ausreißt, um sich selbst zu finden. So erzählt Reitz vom Weggehen und Wiederkommen und den Verlusten, die einer erleidet, der seine Heimat nicht findet.
So wie Fassbinder mit seinem kolossalen „Alexanderplatz“ den deutschen Großstadtfilm geschaffen hat, schenkt Reitz mit „Heimat“ uns allen einen Film, der für das Schicksal des Landes und seiner Landschaften und Menschen steht. Daß es Reitz in München gelungen ist, an zwei sonnigen Tagen sein Publikum in den Bann zu schlagen, liegt nicht allein an den Darstellern, der Regie und der Kameraführung. Eine außerordentliche Kraft, Poesie und nicht zuletzt Seele gibt diesem Werk den Atem (…)
„Heimat“ (…) war das schönste Geschenk ans Kino während des Münchner Filmfestes.
Roland Keller in: STUTTGARTER ZEITUNG, 4.7.1984

Wenn ein Wort plötzlich in aller Munde ist

Wenn ein Wort plötzlich in aller Munde ist, tauchen neben den Missverständnissen auch allerlei Wortspiele auf. So könnte man zur Zeit von einem Reitz-Klima sprechen, das nach dem Abschluss der elfteiligen HEIMAT-Serie des Regisseurs und Autors Edgar Reitz entstanden ist.

Ein schillernder, emotional besetzter Begriff wird von neuem hin-und hergewendet, teils ratlos, teils affektgeladen. (…) Der unerwartete Erfolg des Einzelgängers Edgar Reitz hängt auch damit zusammen, daß er in seinem Hunsrück-Dorf keinerlei verlogene Romantik aufkommen ließ, weil er mit oder ohne Brecht wußte, daß „das Volk nicht tümlich“ ist. So wurde sein Generationen-Epos mit dem erratischen Block Made in Germany zum Gegenteil eines Heimatfilms alter Art – das Hunsrück-Platt als Kontrastprogramm zur Dialektschmonzette. Diese TV-Überraschung, vor der Millionen von Zuschauer an elf Abenden (fast) unverdrossen ausharrten, hat einen Nerv getroffen. Das Bedürfnis nach irgendeiner Geborgenheit ist nicht zu verkennen, aber schon zeigt sich ein eher rührendes Mißverständnis: Jene Touristen, die jetzt den Hunsrück überrennen und vergeblich nach Schabbach suchen, haben die Geschichte nicht begriffen. Heimat als Utopie ist, schon dem Wortsinn nach, nicht an einen Ort gebunden.

Streiflicht in: SUEDDEUTSCHE ZEITUNG, 27./28.10.1984

Wenn man auf der Landkarte eine Linie von Paris nach Berlin zieht

Wenn man auf der Landkarte eine Linie von Paris nach Berlin zieht, läuft sie durch das Dorf Schabbach im Hunsrück. Und wenn man eine Linie vom Nordpol zum Südpol zieht, läuft sie ebenfalls durch Schabbach. Ihr Dorf, so erklären es sich die alten Schabbacher, liegt also, mag es auch klein, ärmlich, rückständig sein, in der Mitte der Welt.

Dieses Dorf, dieses Häufchen Häuser mit Fachwerkmauern und grauem Schieferdach, etwas hingeduckt zwischen den Hügeln, weil zu oft ein zu strenger Wind weht, ist Schauplatz eines Familienromans, einer deutschen Jahrhundertchronik im kleinen, einer Filmgeschichte von über 15 Stunden Spieldauer, die unvergleichlich erscheint: Weil in Deutschland noch nie jemand eine solche Geschichte als Film erzählt hat, mit solcher Ruhe und Kraft, mit solchem Vertrauen in den Reichtum der Alltäglichkeit. (…)

(…) Der ruhige Blick, die Liebe zur Sache, das Vertrauen in die Welthaltigkeit all dieser bewegenden, seltsamen, lächerlichen und schönen Provinzgeschichten: Das gibt diesem Film seine Sicherheit, seine leise, unangestrengte Größe.
Der Hunsrücker Generationenroman, den Reitz zusammen mit dem Drehbuchautor Peter Steinbach entfaltet hat, ist mit allen Abschweifungen und anekdotischen Nebenzügen so fest in Landschaft und Dorfwirklichkeit eingebettet, daß der Erzählfluß über manche Abkürzungen oder Abbrüche leicht hinwegträgt. Die Bilder, in denen Reitz und sein Kameramann Gernot Roll erzählen (frei wechselnd zwischen Schwarzweiß und Farbe), engen die Vorgänge nie zu Miniaturen, nie zu Genreszenen ein.

Urs Jenny in: DER SPIEGEL Nr. 37, 10.09.1984

Wie ein ungeheuer empfindlicher Seismograph

Regisseur Reitz geht wie ein ungeheuer empfindlicher Seismograph vor, der noch die fernsten, untergründigsten Erschütterungen wahrnimmt.

Er arbeitet wie ein Geologe, der Schicht und Schicht abträgt, um das Wesen der Dinge, den Wandel der Zeit bloßzulegen. Sein Epos lässt Sehnsucht nach Emotionen offen, bietet zwar Anlass zum Mitfühlen und Mittrauern, hält sich aber immer heraus. Wie ein Sog wird dagegen der Zuschauer in diesen Erzähl-Fluss über drei Generationen hinieingezogen. (…) Reitz dämpft alle Aufgeregtheiten, akzentuiert eher die Banalitäten des Alltags, hinter denen sich Lüge, Vorurteile, aber auch Trauer und die Sehnsucht verbergen. Selten sah man so faszinierende, schlagende Psychogramme.
Rose-Marie Borngässer in: DIE WELT, 15.9. 1984

Wohltuend Bleibend im Wechsel des elektronischen Unterhaltungsfirlefanzes.

Seit dem 16. September sind wir nun im Hunsrück zu Hause. Wir leben auf vertrautem Fuße mit den Simons, den Wiegands und dem Glasisch-Karl, schauen gebannt Maria zu beim Älterwerden und ertragen auch die abenteuerlichsten Ungereimtheiten der sanften Dorfchronik mit der heiteren Gelassenheit eines Heimatgetriebenen.

(…) HEIMAT, der knapp sechzehnstündige Festival-Überraschungserfolg von Edgar Reitz, hat erstaunlicherweise auch als Fernsehserie über geraume Zeit hin kaum etwas von seiner Wundermacht eingebüßt. Das mag zu einen wesentlichen Teil daran liegen, daß die einzelnen Häppchen vom Regisseur selber zubereitet wurden und nicht vom Programmdirektor; das liegt auch an den geschickten Foto-Einführungen, die sehr rasch die Tagesschau vergessen und den verständigen Blick in die Vergangenheit gewinnen lassen; das liegt an der sofort für Atmosphäre sorgenden Dialektgrundierung des ganzen Romans – und an der Kraft der Darsteller. Vor allem Marita Breuer ist gar noch nicht genug gerühmt worden. Ihre außergewöhnliche Leistung fällt nun erst über die lange Bildschirmdistanz so recht ins Auge; sie sorgt in märchenhafter Übereinstimmung mit ihrer Jahrhundertfigur für Kontinuität, sie ist das wohltuend Bleibende im Wechsel des elektronischen Unterhaltungsfirlefanzes.

Sd. in: FAZ, 19.10.1984